Sara Zanetti: Vier Werke

Die in der Regionale 11 gezeigte Arbeit Vier Werke ist anlässlich eines Geburtstagsfestes einer Sammlerin entstanden. Esther Hiepler hat hierfür vier Kunstwerke aus der Kollektion der Gastgeberin möglichst objektiv beschrieben und von Desirée Meiser vorlesen lassen. Die Gäste hörten in einem dafür hergerichteten Raum die Erläuterungen via Lautsprecher und bildeten das Gesagte mit den zur Verfügung gestellten Utensilien nach. Die in der Ausstellung präsentierte DVD setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Im ersten Part ist der gesprochene Text vor einem schwarzen Bildschirm zu vernehmen, der den Eingeladenen vorgespielt wurde. Im Anschluss an die Werkbeschreibung folgen wie in einer Diaschau die Fotos der Nachbildungen, welche von den Gästen produziert wurden. Die Originale der Sammlerin, auf welche die Schilderungen sich beziehen, werden bewusst nicht gezeigt.

Esther Hieplers Oeuvre besteht noch aus weiteren Aktionen sowie aus Zeichnungen, Aquarellen, Fotoserien, Videos, Installationen, Arbeiten am Bau und im öffentlichen Raum. So unterschiedlich die Medien ihres künstlerischen Schaffens auch erscheinen mögen, verbindet sie doch ein gemeinsames Grundprinzip in der Herangehensweise: das des Sammelns, des Komponierens und des Kombinierens, das sich wie ein roter Faden durch das Gesamtwerk zieht. Hiepler setzt sich in ihrem Schaffen immer wieder mit der endgültigen oder „guten“ Komposition auseinander. Damit verbindet sie auch die Reflexion über den künstlerischen Prozess, der von der ersten Idee ausgehend über mehrere Stadien zum fertigen Kunstwerk führt. Ihre Arbeiten widerspiegeln gewissermassen den Entstehungsvorgang, indem in ihnen oftmals die Wandelbarkeit, Flüchtigkeit oder Instabilität einer Komposition zum Vorschein gebracht wird. Eine Videoinstallation (ohne Titel, 1997), welche aus vier Monitoren besteht, soll als Beispiel angeführt werden: Die Hand der Künstlerin rückt auf jedem Monitor einen unifarbenen Kubus ins Bild, so dass alle vier Ansichten zusammen eine Komposition ergeben. Das Gesamtbild wird sogleich wieder aufgelöst, indem sie einzelne Quader wieder von der Kamera weg bewegt oder diese durch andere ersetzt.

In der Arbeit Vier Werke sind es in erster Linie die Gäste, die von der Lautsprecheransage dazu angeleitet den kreativen Prozess einer Werkentstehung durchlaufen, wobei jeder der Eingeladenen die Komposition des Originals auf eine individuelle Weise nachbildet. Die Künstlerin nimmt insofern Einfluss auf die Ergebnisse der Gäste, indem sie für die Werkbeschreibung die betrachteten Originale in Sprache übersetzt und die einzelnen Elemente, aus denen das ursprüngliche Werk aufgebaut ist, in einer eigenen, für sie schlüssigen Reihenfolge benennt.

Die Komponente des Zusammenstellens nimmt allgemein einen wichtigen Stellenwert im Schaffen von Esther Hiepler ein. Sie beschreibt ihre Arbeiten ebenfalls als Module, die verschieden kombiniert und je nach Gruppierung unterschiedlich wirken können. Bei Serien sind nicht nur die einzelnen Blätter bedeutsam, sondern ebenso deren Anbringung im Raum. Die Zeichnungen und Aquarelle sind daher nicht in sich abgeschlossen und bewusst mehrteilig konzipiert, so dass jedes Blatt mit dem daneben stehenden in einen Dialog tritt, wodurch ein Zusammenspiel entsteht. Auch ihre fotografischen Arbeiten sind als Sammlungen gedacht. Hiepler arrangiert ihre Motive nicht; vielmehr geht sie mit der Kamera durch die Strassen und sucht nach Zufallskompositionen, so wie sie sie gerade vorfindet. Ihr Interesse gilt primär Gegenständen, die anhand ihrer Linien und Farben ebenfalls als abstrakte, geometrische Formen betrachtet werden können. Aus den vorgefundenen Kombinationen von mehreren solcher Objekte ergeben sich teilweise auch neue Anordnungen. Zugleich werden die Kompositionen aber auch erst durch den fotografischen Ausschnitt kreiert, der die Dinge aus ihrem Kontext herauslöst und dadurch sichtbar macht.

Die Fotografien der Nachbildungen in der Arbeit Vier Werke werden auch nicht als Einzelarbeiten präsentiert, sondern setzen sich vielmehr wie Bausteine innerhalb der Diaschau zu einem Gesamtkunstwerk oder einer Serie zusammen. Erst in der Abfolge der Bilder lassen sich die kleinen Unterschiede und die verschiedenen Gewichtungen im Schaffen der Gäste herauslesen, so dass beim Betrachten der DVD in jedem Foto das zuvor eingeblendete noch für einen kurzen Moment nachwirkt.