Menschen sitzen oder liegen entlang der Rückwand der Kunsthalle und diskutieren, lesen, schauen den Passanten zu oder schlucken hastig den letzten Bissen ihres mitgebrachten Lunchs. Was wird hier gespielt? Die Sitzende vor der Wand beobachtet den Vorbeigehenden, der wiederum selbst die Leute auf der Bank mustert. Wird da ein Bühnenstück inszeniert? Wer ist Publikum und wer sind die Statisten? Die Fragen bleiben offen. Durch das Wechselspiel der Rollen verwandelt sich die Situation in eine Begegnung zwischen Zuschauern und Beteiligten. Esther Hiepler schafft mit ihrem farblichen und architektonischen Eingriff an der Kunsthallenrückwand die Prämisse für ein Bühnenbild, in welches sich die Personen hinein begeben. Die selbständigen Akteure werden von einer unsichtbaren Regie geführt. Diese führt zu einer perfekten Irritation.
Durch ihre Interventionen versetzt die Künstlerin den Betrachter auf eine imaginäre (oder doch etwa reale?) Bühne. Bei allen Medien, die Esther Hiepler anwendet, sei dies nun Performance, Video oder Installation, ist die Bühne der Ausgangsort für ihre Aktionen. Sie ist Plattform und Raum für ihren künstlerischen Ausdruck. Ihre Ansätze entstammen diversesten ldeenwelten. Sie sind oft begleitet von einer gestuellen Rhythmik oder bedienen sich akustischer Mittel. Ihre Choreographie baut auf einer Reduktion der Bewegung und des Bühnenbildes auf. Fast schon könnte man von einer asketischen Ausstattung sprechen. Hiepler verzichtet auf aufwendige Staffagen, um eine konzentrierte Aktion zu schaffen. Die optische und akustische Ebene vereinnahmen den Betrachter ganz. Hieplers Umgang mit der bildnerischen Sprache ist präzis elaboriert. So steckt sie in ihrer Performance Auftritt für zwei Schlagzeuge Köpfe und Füsse zweier Darstellerinnen in unterschiedlich grosse farbige Klötze; auch alle Finger sind mit Klötzen versehen. Einziges Bühnenelement sind streng kubische Tische und Stühle. Die Darstellerinnen erzeugen durch den rhythmischen Einsatz ihrer würfelförmigen Extremitäten schlagzeugähnliche Klänge. Diese, auf verschiedenen Bühnen gezeigte Live-Performance, erzeugt neue Bewegungsmotive und suggeriert lebendige, skulpturale Bilder.
ln der Videoarbeit für die Jahresausstellung 1997 in der Kunsthalle Basel setzte sie ähnliche künstlerische Mittel ein. Farbige geometrische Formen werden rhythmisch hin- und hergeschoben und gleichzeitig aus verschiedenen Blickwinkeln auf vier zu einem Würfel zusammengestellten Monitoren gezeigt. Daraus resultiert ein stetig wechselndes Bilderlebnis.
ln der Video-Performance Bilderbühne wird der Raum durch die Aktion noch einmal zur imaginären Bühne. Die fliessenden Bewegungen werden rhythmisch von «Easy-Listening-Musik» begleitet und schaffen einen Zustand von Leichtigkeit und Anmut. Lebendige Bilder mit einer grossen Eigendynamik entstehen nach und nach durch das Auslegen von farbigen Papierbogen oder -bahnen. Es sind Kompositionen im ständigen Wandel. Trotzdem gibt es keine Hektik und keine Unruhe; alles ist im Einklang und vermittelt einen harmonischen Eindruck. Esther Hiepler geht es weniger um die Vorstellung eines fertigen Endproduktes, als vielmehr um die Erzeugung von neuen Formen. Rhythmus ist Bestandteil ihrer metaphorischen Sprache. Dieser entsteht durch die Abfolge von Bewegungen, sowohl durch den Einsatz des Körpers als auch mit Hilfe von geometrischen Formen, welche abwechslungsweise die Bildinhalte bestimmen.
Immer wieder neu erzeugte Bilder gehören zum Repertoire ihrer Arbeit. Hiepler benutzt sie zum Erforschen der Möglichkeiten von Form, Farbe und Komposition. Das Flüchtige in ihrer Arbeit, bzw. alles, was sie nicht ausformuliert, sondern offen lässt, geben dem Betrachter Raum für seine eigene Leseweise einer weitergehenden Dramaturgie.
Text aus Katalog 31/1999 Esther Hiepler, Kunsthalle Basel, Verlag Schwabe & Co, Basel