2006 «Minimalism and After», Sammlung Daimler Chrysler, Hatje/Canz
In einer umfassenden Studie zur Sammlung Panza di Biumo, eine der frühen europäischen Minimal und Concept Art Sammlungen, hat Germano Celant eine für den Zusammenhang unserer Ausstellung »Minimalism and After« aufschlussreiche These formuliert, die zugleich ein interessantes Licht auf Esther Hieplers Videoarbeit „Studio 2000“ wirft. Celant, langjähriger Kurator am Guggenheim Museum New York, sieht die radikale Umwertung des Begriffs vom Kunstwerk in Minimalismus und Konzeptkunst in den Bildern der »Logic Color Painters« der 50er Jahre grundgelegt und er relativiert damit die oft wiederholte Aussage, die Minimal Art sei ein rein amerikanisches Phänomen gewesen. Die Betonung von Verstand und Intentionalität, die Herleitung eines logischen Bildkonzepts aus dem russischen Konstruktivismus und dem holländischen Neoplastizismus, die Propagierung einer rationalen Mechanik des Malens, die Auseinandersetzung mit der Funktion von Kunst und mit ihren prozeduralen Mitteln – all diese Vorgaben der »Logic Color Painters« seien von der Künstlergeneration der 60er Jahre aufgegriffen und radikalisiert worden. Beispielhaft nennt Celant die Namen der Künstler Reinhardt, Newman, Albers, Kelly, Bill und Lohse. (G.C., in Kat. »Das Bild einer Geschichte 1956/1976«, Düsseldorf 1980, S. 37.)
Ad Reinhardt neben Max Bill – dieser überraschenden Namhaftmachung geistiger Zeitgenossenschaft entspricht in unserer Ausstellung etwa die Nachbarschaft früher Vertreter eines konstruktiv verankerten Minimalismus wie Stazewski oder Glöckner und ihrer Pendants Davis und McLaughlin. Vor dieser Folie gewinnt auch das Video Studio 2000 eine spezifische Lesart. Esther Hiepler scheint den frühen Konvergenzpunkt von – europäischen – konstruktiven und – amerikanischen – minimalistischen Bildkonzepten performativ durchzuspielen und auf seine Haltbarkeit für ein zeitgemäßes Verhältnis von Bild, Raum und Betrachter einerseits, von physischer und virtueller Körperlichkeit andererseits zu erproben.
Was geschieht während der 30 Minuten Laufzeit? Eine nahezu statisch eingesetzte Videokamera fokussiert einen Ausschnitt der Atelierwand von Esther Hiepler. Auf der Wand sind verschiedene farbige, zum Teil glänzende Kartonbögen aufgehängt. Aus unterschiedlichen Kamerawinkeln dokumentiert das Video die Entstehung verschiedener Bildkompositionen, welche durch das Umhängen der Bögen und Umgruppieren der Requisiten – ein weißer Sockel und eine kleine Holztreppe – entstehen. Der Sockel wird mit unvermeidlichem Lärm verschoben oder über die Treppe bestiegen, um höher hängende Bögen umzuhängen. Findet keine Aktion statt, dominiert die Bildkomposition, die als Fläche, als Relief oder – zusammen mit Sockel und Treppe – als minimalistische räumliche Komposition wahrgenommen werden kann. Betritt die Künstlerin den Bildraum, wendet sich die Aufmerksamkeit des Betrachters wieder die realen Größenverhältnissen und dem realen Raum zu. Das kontemplative Bild wird durch die triviale Aktion des Hängens und den störenden Lärm des Sockelschiebens konterkariert.
Einen Vorläufer hat „Studio 2000“ in der in der Videoarbeit „Kuben und Quader“, 1997. Hier werden auf vier Monitoren verschiedene geometrische Formen ins Bild hineingehalten und nach einer Pause wieder hinausbewegt. In einer Choreographie der Kuben und Quader, mit wechselndem Rhythmus, langsamen und schnelleren Sequenzen, entstehen unterschiedliche Bildkompositionen, die stehen bleiben, sich verändern und wieder verworfen werden. Für die 8teilige Videoserie „New York Wände“, 2000, hat Esther Hiepler ihre Verschränkung von konstruktiv-konkreter Komposition und minimalistischer Raumkonfiguration in den urbanen Aussenraum verlegt. Vor ausgesuchten Wänden in New York wurden vorbeigehende Menschen gefilmt. Der gleichbleibende Kameraausschnitt der Wand zeigt ein monochromes farbiges oder abstrakt strukturiertes Bild, vor welchem die Passanten ihren kurzen Auftritt haben. Vorbeifahrende Autos unterteilen die Fläche neu oder »beschleunigen« das Bild, wenn etwa ein farbiger Lastwagen durchs Bild schneidet. Die ständige Bewegung sowie der typische New York Sound – Stimmen, Verkehr, Sirenen – stehen im Gegensatz zu den statischen, ruhigen Bildausschnitten und der monochromen Struktur der Hintergründe. Wenn der Fussgänger- oder Verkehrsfluss abnimmt, reflektieren die Wände nur noch Lichter oder weiter entfernte Bewegungen.
Der Atelierraum in den Videos Studio 2000 und Kuben und Quader 1997 sei als »Bühne wie ein white cube, wie eine leere Leinwand«, schreibt Linda Cassens. »Im romantischen Sinn ist es ein Ort, an dem von Null begonnen werden kann. Was nicht romantisch ist, ist die Kunst: Weder Produkt noch Prozess, ist das Ergebnis eine endlose Videoschlaufe. Der Zuschauer schaut wie ein Voyeur in diesen privaten Raum, in dem die Künstlerin arbeitet … Die Verwendung von Papier als Medium für Farbe – hier eine Erfindung der Künstlerin – hat tatsächlich eine Tradition in der modernen Kunst. Der Titel von Josef Abers drittem Kapitel in »The Interaction of Color« heisst »Warum Farbpapiere anstelle von Pulver und Malfarben«. Josef Albers beschreibt die Nützlichkeit von Papier in bezug auf Kontrolle: »Farbpapiere ermöglichen es, mehrmals genau dieselbe Farbe ohne die geringste Abweichung des Farbwertes, der Helligkeit, oder Oberflächeneigenschaften zu verwenden, also ohne den ungewollten Veränderungen unterworfen zu sein, die durch unterschiedlichen Farbauftrag (dünner oder dicker, gleichmäßig oder ungleichmäßig) hervorgerufen werden: ohne die Spuren der ausführenden Hand oder des Pinsels, woraus sich verschiedene Dichte und Intensität und verschiedene Ränder ergeben können«. Esther Hiepler setzt Papier nicht nur ein, um die Farbe zu bestimmen, sondern sie verwendet genauso seine Eigenschaften des Gewichts und der Form.« (L.C., in Kat. Kunsthalle Basel 1999.)