Dialog mit dem Zweifel

Der Zweifel hatte grosse Probleme, wenn ich wieder mal am „basteln“ war. Er setzte auf stabile Materialien und feste Werte. Unsere Gespräche waren von diesem konservativen Denken geprägt.

Zweifel: Was machst du da?

Ich: Ich verbinde die Hüllen von Schokoladetalern mit Draht. Die Schokoladetaler habe ich alle im Winter gegessen und die Hüllen davon aufbewahrt und glattgestrichen. Ich stelle mir vor, sie alle zu verbinden und so eine riesige Münze herzustellen.

Zweifel: Das dauert ja ewig!!

Ich: Muss denn immer alles schnell gehen? Ausserdem mache ich sehr ­gerne repetitive Arbeiten. Man kann gut nachdenken dabei.

Zweifel (höhnisch): Worüber denkst du schon nach?

Ich: Zum Beispiel über Geld und Werte, wenn ich diese an sich wertlosen, goldenen Aluhüllen in mühsamer Handarbeit zusammennähe und damit vielleicht wieder etwas Wertvolles schaffe.

Zweifel: Wieso soll das wertvoll sein? Wieder so was Fragiles; es geht ja schon beim Machen beinahe kaputt. Deine Hände zittern ja, weil es so schwierig ist, diesen Schrott zusammen zu fügen!

Ich: Aber genau das interessiert mich ja; diese Fragilität und dieses an sich wertlose Material, das aber eine Währung imitiert. Eine Währung mit ­einer Geschichte. Der Schweizerfranken als Bild für das Stabile an sich, der aber hier nur noch als Stellvertreter vorhanden ist und in den leergegessenen Hüllen nur noch als Spur… Und dann die Schokolade; auch da gibt es ­tausend Referenzen: Schokolade als Bild für die intakte, gute Schweiz, andererseits das Wissen um die Ausbeutung bei der Herstellung von Schokolade, die Kolonialisierung… Und dann die Bedeutung, die die Schokolade für mich hat, die Kindheitserinnerung, die Ausweichhandlung des Schokotaleressens, statt dass ich mich seriös um Geld kümmere…

Zweifel: Also jetzt verlierst du dich wieder in diesen vielen Bedeutungen. Willst du denn immer gleich alles einbauen?

Ich: Ja.

Zweifel: Aber du kannst diesen Themen gar nicht gerecht werden!

Ich habe begonnen, ein Messingtablett zu polieren. Auch das passt ihm nicht.

Zweifel: Hör doch auf mit diesen unproduktiven Tätigkeiten. Das kann doch eine Putzfrau machen! Kümmere dich um den Mehrwert!!

Ich: Ich liebe es, Dinge zu polieren. Es ist so befriedigend: Zuerst dieses Matte, Trübe und dann der Glanz, das Glatte, Spiegelnde. Immer, wenn es nicht weitergeht, sollte man etwas polieren. Danach fühlt man sich einfach besser.

Zweifel: Alles falscher Glanz, meine Liebe. Messing! Goldene Aluhüllen! Dieses wertlose Zeug. Du solltest dich mit wirklichem Gold beschäftigen. Mit harten Währungen. Mit echten Werten. Mit Haltbarem. Nicht mit Zerfall und Schwäche. Nicht mit Marodem und Angegriffenem. Selbst ­glänzend poliert, sieht dein Messingtablett immer noch ziemlich alt und fleckig aus.

Ich: Das gefällt mir eben. Diese Flecken und Risse. Das Übriggebliebene. Die Reste. Der Abfall. Das, worum sich niemand mehr kümmert.
Zweifel: Das war doch alles auch schon da. Arte Povera. Du kannst doch nicht immer alles wieder und wieder aufrollen. Echtes Gold ist jetzt angesagt! Klare, deutliche Werte! In Zeiten der Krise braucht man Dinge, auf die Verlass ist. Goldbarren!!!!!

veröffentlicht in: Dialog mit dem Zweifel – Heft Nr. 7- Im Atelier, Vexer Verlag, 2017