“Modern Islands”, Revolver Verlag, Frankfurt am Main, 2003
(…) In der dresdener Prager Strasse gibt es in einem Sockelgeschoss eines riesigen Wohnriegels leerstehende Ladenlokale und Passagen. Beton, Milchglas, Leuchstoffröhren, Leerflächen, nackter Boden. Ohne Einrichtung, Farbe, Schrift. Gemütliches fehlt. An diesem Ort hängen hinter mehreren der Schaufenster grossformatige Farbfotografien. Genau diese leerstehenden Ladenlokale und Passagen des Sockelgeschosses des Wohnriegels der Prager Strasse sind wiederum abgebildet.
Esther Hiepler hat die Bilder mit einer Autofokuskleinbildsucherkamera belichtet. Kein Stativ, keine Zusatzbeleuchtung, keine weiteren technischen Hilfen. Nichts musste aufgebaut, abgewartet, wiederholt werden. Es wurden keine stürzenden Linien korrigiert und auch keine Belichtungsreihen vorgenommen. Die aus Augenhöhe gemachten Aufnahmen sind einer Skizze ähnlich. Die Bildformate reichen jeweils genau bis an die Scheibenunterteilungen, damit keine weiteren Linien, Flächenaufteilungen und Begrenzungen entstehen.
Durch die Verdoppelung der Situation vor Ort führen die Fotografien die Sicht weg von Ornamentik, weg von Sinnesreizen, weg von dem, was in der Prager Strasse sonst dominiert. Hin zu Reduziertheit, zu Klarheit, ja zu Stille. Jemand hält die Pausentaste gedrückt. Erst auf den zweiten Blick sieht man die Aufnahmen überhaupt, vielleicht kann man sie auch ganz übersehen. Wegen der Spiegelungen der gegenüberliegenden Hochhäuser im Glas, wegen der Weiterführung von Struktur und Perspektive oder wegen dieser eigentümlich aufgeräumten, anregenden hieplerschen Zurückhaltung. Der Ort, Grossformate und Umgebung durchdringen sich gegenseitig, wie Blicke durch Fenster, das Gehen durch Passagen, das Leuchten von Licht und Farbe.
Esther Hiepler setzt Reduziertheit auch hier gewohnt präzise ein. Vorausgehende Arbeiten haben das schon vermittelt, sowohl was Geometrie, Farbe, Form, Choreo- und Fotografie angeht, wie auch bei Motivwahl, eingesetzter Technik und Umsetzung.Kunsthallenrückwand, 1999: Komplementäre Leuchtfarben, einfachste Geometrie, alles weg, was stört. Die Wand wird Projektionsfläche für einen Film der Dinge, die da sind oder sich da abspielen. Leinwand für die Schatten der Blätter der Bäume. Bühne für Menschen, die sitzen, stehen, vorbeigehen. New York Wände, 2000: Frontale Flächen mit spezifischen Farben, lineare Bewegungen anonymer Passanten, Pausen. Vorhandenes wird benutzt, nichts hinzugefügt. Jedes Vorbeigehen ist ein kleiner Auftritt. Originalton der Drehorte aus dem Off unterstützt den semidokumentarischen Charakter. Schlagzeug, 1999 Bilderbühne, 1999/Studio 2000, 2000: Weisse Räume, klare Farben, rechte Winkel. Durch einfache Handlungen werden Bilder erzeugt. Die Reduktion der Mittel und das Hören von Originalton unterstützen Aktion und Choreografie. Unmittelbare Handlung wird Momentaufnahme und damit zum Endprodukt.Teegarten, 2001: Sitzen, Tee trinken, schauen. Aufgeräumtheit, auch innere. Die Anlage mit rundem Bassin, schlichter Möblierung und stimmungsvoller Lichtgebung lädt ein, Zeit verstreichen zu lassen. Sammlung, seit 1998: Skizzenartige Fotografie, Normaloptik, unverzögert. Überschaubare Technik erlaubt reflexartige Bestandsaufnahmen.
Die Arbeiten von Esther Hiepler sind nicht einfach einfach, sondern kontrolliert reduziert. Man könnte mehr oder weniger sagen, weniger sei mehr. Reduzieren kann man erst, wenn vorher etwas da ist. Etwas bedachtes, formuliertes, etwas, das einem bewusst ist. Eindeutigkeit wird hergestellt, Sachverhalte werden auseinandergenommen und einzeln aufgezeigt. Es ist aufgeräumt worden, im guten Wortsinn. Sogar die Titel dienen lediglich der Bezeichnung der jeweiligen Arbeit. Sie könnten eigentlich alle Ohne Titel heissen. Praktischer sind sie aber mit Titeln, und die sind so klar, wie die Arbeiten reduziert sind: Kunsthallenrückwand oder eben Fenster, Durchgänge.